25. Mai 2022 • Allgemein 

Aus unserer Arbeit: Wenn Zeug*innen schweigen – Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

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Der Fall

Eine junge Frau suchte unsere Beratungsstelle auf, nachdem sie an ihrem Arbeitsplatz über mehrere Monate hinweg sexuell belästigt worden war. Die Betroffene hatte ihren Job gerade erst begonnen und befand sich noch in der Probezeit. Der Täter war in einer hohen Position des prestigeträchtigen Unternehmens.

Die Belästigung nahm ihren Anfang mit ungebetenen Mitbringseln, Aufmerksamkeiten und Komplimenten. Begleitet wurden diese von unangenehmen Blicken, die die Betroffene von oben bis unten scannten. Der Täter starrte bei jedem Gespräch auf ihren Körper, anstatt ihr ins Gesicht zu sehen. Immer häufiger verschaffte er sich Möglichkeiten, mit ihr alleine zu sein, richtete unangemessene persönliche Fragen an sie und machte zweideutige und sexuell konnotierte Bemerkungen.

Durch das große Machtgefälle konnte die Betroffene sich schwer schützen. Alle ihre Versuche, Grenzen zu setzen und die Belästigung zu beenden, wurden durch den Täter ignoriert. Selbst nachdem der Täter etwas Unangemessenes gesagt hatte, witzelte er, dass in den USA der Kommentar, den er gerade gemacht hatte, als sexuelle Belästigung angesehen würde.

Unsere Klientin dokumentierte die täglichen Belästigungen in einem Tagebuch. Doch als sie ihre direkte Vorgesetzte einweihte, spielte diese die Situation herunter.

Rechtliche Einordnung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sexuelle Belästigung in beruflichen Zusammenhängen (§ 3 Abs. 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AGG) und gibt Beschäftigten Rechte, um sich gegen sexuelle Belästigung zur Wehr zu setzen. Gleichzeitig verpflichtet das AGG Arbeitgeber*innen dazu, für ein sicheres Arbeitsumfeld frei von Belästigungen zu sorgen.

Intervention und Ergebnis

Die Betroffene suchte unsere Beratungsstelle auf, als die Situation für sie bereits so unerträglich geworden war, dass sie aus diesem Grund gekündigt hatte.

Obwohl die Firma die Beschwerden der Frau vor deren Kündigung nicht ernst genommen hatte, leitete sie nach deren Kündigung ein Verfahren ein, um die Vorwürfe gegen den Täter zu prüfen. Mit der Prüfung der Beschwerde wurde allerdings eine Kanzlei beauftragt, die auch sonst sehr eng mit der Firma zusammenarbeitet.

Die Klientin wurde zu einem Interview in diese Kanzlei eingeladen. Wir haben das Interview gemeinsam vorbereitet und die Klientin zu dem Gespräch begleitet. Mit unserer Unterstützung machte die Betroffene außerdem auch selbst gegenüber der Firma Ansprüche auf Entschädigung nach den AGG geltend.

Einige Wochen nach dem Interview erhielt die Ratsuchende das Ergebnis der Prüfung durch die Kanzlei. Der Täter hatte der Kanzlei gegenüber alles abgestritten und die wenigen Zeug*innen hatten nicht den Mut, gegen ihn aufgrund seiner hohen Position im Unternehmen auszusagen. So hielt die beauftragte Kanzlei als Ergebnis der Prüfung fest, es habe keine sexuelle Belästigung gegeben. Für unsere Klientin stellte die Tatsache, dass ihr nicht geglaubt wurde, eine erneute starke Verletzung und Demütigung dar.

Im nächsten Schritt machten wir einen gemeinsamen Termin mit einer Rechtsanwältin, die auf Arbeitsrecht und Diskriminierung spezialisiert ist. Leider schätzte diese die Chancen für eine Klage nach dem AGG als wenig aussichtsreich ein. Die Indizienlage war eher schwach, denn es würde Aussage gegen Aussage stehen und in der Prüfung durch die (firmennahe) Kanzlei war klar geworden, dass die Betroffene keine Zeug*innen auf ihrer Seite hatte. So war das Risiko einer weiteren Verletzung vor Gericht zu groß und die Ratsuchende entschied sich gegen eine Klage.

Die Betroffene fand aber einen anderen Weg, mit der Sache abzuschließen. Auf ihrem LinkedIn-Profil veröffentlichte sie ihre Version der Geschichte. Sie nannte dabei keine Namen und dennoch ließen ihre Beschreibungen in Kombination mit ihrem Profil leicht Rückschlüsse auf den Täter zu. Bevor sie den Text veröffentlichte, ließen wir ihn noch einmal von der Rechtsanwältin prüfen, um sicher zu gehen, dass die Betroffene nicht noch wegen „Verleumdung“ belangt würde.

Die Reaktionen auf ihren Text waren durchweg positiv und bestärkend. Viele Frauen schrieben ihr, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.

Kommentar

Der Fall zeigt, dass es zäh und frustrierend sein kann, sich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – zumal wenn sie von einem Vorgesetzten ausgeht – zur Wehr zu setzen. Unsere Klientin hat nicht erreichen können, was sie erreichen wollte. Dennoch ist ihre Geschichte auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich durch das Aktiv-Werden und Auseinandersetzen mit dem diskriminierenden Ereignis neue Türen öffnen können und Bestärkung erfahren werden kann.

Unter der Rubrik „Aus unserer Arbeit“ veröffentlichen wir in regelmäßigen Abständen anonymisierte Fälle aus unserer Beratungsarbeit als Einblick in die Antidiskriminierungsberatung in Sachsen.
Weitere Fälle finden Sie
hier (wird fortlaufend aktualisiert).

Bildnachweis: Photo by Kt Nash on Unsplash