19. Apr 2024 • Allgemein 

Urteil des Amtsgericht Berlin-Mitte: Die Frage „Wo kommst du wirklich her?“ ist diskriminierend (Pressemitteilung ADNB Berlin)

Die Seitentür eines Polizeiwagens

Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG): Rassistische Frage während Polizeikontrolle

Nach einem fast dreijährigen Gerichtsverfahren erkennt das Amtsgericht Mitte mit dem Urteil vom 15.04.24 an, dass es sich bei der Frage eines Polizeibeamten danach, woher der Kläger „wirklich“ käme, um unmittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und einer rassistischen Zuschreibung handelt. Zudem kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass auch die Art und Weise der Behandlung des Klägers während der polizeilichen Maßnahme eine diskriminierende Belästigung nach dem Berliner Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) darstellt. Dem Kläger wurde ein Entschädigungsanspruch gem. § 8 LADG in Höhe von 750 € zugesprochen. Damit wurde unter Anwendung des LADG zum ersten Mal die Berliner Polizei verurteilt.

Im Sommer 2020 wurde der Kläger, Herr N., in Berlin Mitte von der Polizei auf seinem Fahrrad angehalten und beschuldigt, sein Mobiltelefon während der Fahrt benutzt zu haben. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Identitätskontrolle bei der die beiden Polizeibeamten laut Aussage des Herrn N. und zweier Zeug*innen sehr laut und aggressiv gewesen seien. Herr N. habe den Polizeibeamten seine Krankenkassenkarte ausgehändigt, welches die Polizisten ihrer Schilderung nach, veranlasst habe, ihn nach seinem Geburtsort zu fragen. Herrn N. zufolge hätten sie ihn aber nicht nach seinem Geburtsort, sondern nach seiner Herkunft gefragt. Als Herr N. als Antwort seine in Deutschland befindliche Geburtsstadt genannt habe, habe einer der Polizeibeamten ihn gefragt woher er denn „wirklich“ komme. Der Kläger sah darin eine Diskriminierung aufgrund einer rassistischen Zuschreibung. Auf eine außergerichtliche Entschädigungsforderung bot die Berliner Polizei dem Betroffenen zunächst die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 100 Euro an.

Dieser lehnte das geringe Entschädigungsangebot jedoch ab. Die LADG-Ombudsstelle sprach im Oktober 2020 gegenüber der Berliner Polizei eine formelle Beanstandung aus und forderte diese zur Abhilfe auf. Mit Unterstützung des Antidiskriminierungsnetzwerk Berlins (ADNB des TBB) und seiner Rechtsanwältin reichte Herr N. Ende 2021 nach dem Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz Klage ein.

Die Berliner Polizei hatte im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mehrere Vergleichsangebote ausgeschlagen. Gleich zu Beginn der Verhandlung betonte die Richterin, dass sie die Formulierung der Polizei in einem Entschuldigungsschreiben nicht als ausreichende Entschuldigung sieht. Darin teilte die Polizei mit, sie bedauere, dass der Kläger sich „diskriminiert gefühlt“ habe.

Am Montag den 15.04.2024, wurde das Urteil verkündet. Das enorme Durchhaltevermögen, welches der Kläger aufbringen musste um den Prozess bis zu diesem Punkt durchzustehen, ist bemerkenswert. Gleichzeitig zeigt dies aber auch, wie viel Kraft und Ressourcen eine diskriminierte Person benötigt, um ihr Recht zu nutzen und gegen die Diskriminierung vorzugehen. Ein vierjähriges Verfahren seit dem Auftreten der Diskriminierung ist für diese Sachverhaltsklärung zu lang.

„Trotz des positiven Urteils wurde ich von der Polizei, der Beklagten, weiterhin als Täter dargestellt. Es gab bis zum Ende keinerlei Eingeständnisse der Polizei sowie keine Entschuldigung.“ – Syed N. (Kläger)  „Wir freuen uns, dass das Urteil das Verhalten der Polizei als rassistische Diskriminierung bewertet. Aber der Fall von Syed N. ist kein Einzelfall. Als Beratungsstelle hören wir alltäglich von Fällen rassistischer Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei. Eine Verantwortungsübernahme durch die Behörde können wir leider fast nie beobachten.“ – Charlotte Heyer (Projektleitung des Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin) „Das Urteil kann zwar als Erfolg betrachtet werden, jedoch zeigt es die absolute Notwendigkeit, rassismuskritische und diskriminierungssensible Ansätze und Themen in der Ausbildung der Polizei zu verankern. Nur so kann institutionellem Rassismus effektiv entgegengewirkt werden.“ – Zülfukar Çetin (Vorstand des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg)

Für weitere Informationen und Anfragen wenden Sie sich bitte an:

Pressekontakt: 

Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin Projektleitung: Charlotte Heyer
E-Mail: adnb@tbb-berlin.de /charlotte.heyer@tbb-berlin.de
Telefon: 030 / 55 06 59 05