25. Aug 2023 • Allgemein 

Stellungnahme der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts

Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

23. August 2023

Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung begrüßt, dass das Staatsangehörigkeitsrecht modernisiert werden soll, sieht allerdings in einzelnen Punkten des
Gesetzes erhebliche Benachteiligungspotentiale.

Grundsätzlich muss es das Ziel eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts sein, die stetig wachsende Lücke zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung zu verringern, da sich kein
demokratisches Gemeinwesen leisten kann, große Bevölkerungsteile dauerhaft vom demokratischen Willensbildungsprozess auszuschließen. Das sog. ausgeschöpfte
Einbürgerungspotenzial ist in Deutschland seit langem konstant niedrig. 2022 wurden lediglich 3,1 % derjenigen, die zehn Jahre oder länger als Ausländer*innen hier leben, eingebürgert. Für das Leben in Deutschland hat die fehlende Staatsangehörigkeit nicht nur Auswirkungen auf die demokratische Teilhabe. Eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit ist ein häufiger Grund für Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen, beispielsweise bei der Wohnungsvergabe, der Kontoeröffnung oder im Arbeitsleben.

Die Einbürgerungsverfahren müssen dringend vereinfacht, beschleunigt und entbürokratisiert werden. In der Vergangenheit haben die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und ein unnötiger Prüfungsaufwand die Einbürgerungen oftmals verzögert oder gar verhindert. Die Modernisierung unseres Staatsangehörigkeitsrechts ist daher ein bedeutsamer Schritt zu mehr demokratischer Teilhabe. 

Einbürgerungen werden in Zukunft grundsätzlich ab 5 Jahren Aufenthalt, und bei besonderen Leistungen noch früher, möglich sein. Mit der Akzeptanz von Mehrstaatigkeit werden zudem große Einbürgerungshindernisse und Ungleichbehandlungen von Drittstaatenangehörigen abgebaut. Durch einen einfacheren Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit kann die gleichberechtigte Teilhabe der hier lebenden Menschen maßgeblich gestärkt werden. 

Aber auch darüber hinaus gilt es, Hindernisse in Einbürgerungsverfahren konsequent abzubauen. Aus Sicht der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung muss das Gesetz ein deutlicheres Zeichen setzen, dass Einbürgerungen und die Teilhabe an staatsbürgerlichen Rechten gewollt sind. Zudem darf ein Einbürgerungsrecht nicht diskriminierend wirken und ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisierend ins Auge fassen. So muss etwa der Erwerbssituation von Menschen mit Behinderungen oder Fürsorgeleistenden bei den Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung weiterhin hinreichend Rechnung getragen werden. Das bisherige Einbürgerungserfordernis der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse sollte mit dem Gesetzentwurf eigentlich durch klare Kriterien ersetzt werden. Alle Einbürgerungswilligen müssen sich zum Grundgesetz bekennen – ganz gleich, welcher Religion sie angehören oder auch nicht. Einzelne Religionen wie im Begründungstext den Islam konkret hervorzuheben, ist verfassungsrechtlich bedenklich und tendenziell stigmatisierend. Begünstigt wird damit auch eine uneinheitliche Verwaltungspraxis, da es den jeweiligen Behörden obliegt, das Verhalten der Antragstellenden zu bewerten und bei Anhaltspunkten eine Prüfung einzuleiten.

Vor diesem Hintergrund besteht noch Nachbesserungsbedarf am Gesetzentwurf, der nachfolgend im Einzelnen erläutert wird.

§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG - E

  • Mit der Vorschrift wird die bestehende Rechtslage verschärft. Die Anforderungen an Einbürgerungsbewerber*innen, die existenzsichernde Leistungen beziehen, werden erhöht.
    Bisher sollte für Leistungsbezug, wenn er als „unverschuldet“ galt, Ausnahmen gemacht werden. Mit den nun höheren Anforderungen werden Diskriminierungen beispielsweise von Frauen und von Menschen mit Behinderungen begünstigt.
  • Die Unabhängige Bundesbeauftragte plädiert dafür, eine klare Regelung in das Gesetz aufzunehmen, die sicherstellt, dass Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende,  Personen, die Angehörige pflegen sowie Menschen, die ohne Trauschein Fürsorgeverantwortung in familiärer Gemeinschaft übernehmen, nicht beim Anspruch auf Einbürgerung diskriminiert werden, weil sie Leistungen zum Lebensunterhalt beziehen. Gleiches gilt für Menschen, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen. Auch sie dürfen nicht beim Einbürgerungsanspruch benachteiligt werden.
  • Durch die Vorschrift werden strukturell benachteiligte Personengruppen bei den Möglichkeiten der staatsbürgerlichen Teilhabe schlechter gestellt: Frauen tragen in Deutschland den größten Teil der Fürsorgearbeit. Auch von Altersarmut sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Insgesamt haben Migrant*innen statistisch ein deutlich höheres Armutsrisiko als Menschen ohne Migrationsgeschichte. Migrant*innen sind außerdem deutlich häufiger im Niedriglohnsektor beschäftigt.
  • In der Gesetzesbegründung heißt es, dass unter anderem für Menschen mit Behinderungen oder Alleinerziehende, die in Teilzeit arbeiten, die Härtefallregelung aus § 8 Abs. 2 StAG angewendet werden kann, wenn die leistungsbeziehenden Personen alles Mögliche und subjektiv Zumutbare unternommen haben, um ihren Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern. Die Entscheidung darüber, ob im Einzelfall die Voraussetzung der Härtefallregelung erfüllt sei, obliege den zuständigen Behörden und Gerichten.
  • Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung weist darauf hin, dass der Hinweis in der Gesetzesbegründung und auf eine mögliche Anwendung der voraussetzungsvollen Härtefallregelung aus § 8 Abs. 2 StAG nicht geeignet ist, um das Diskriminierungsrisiko zu beseitigen.
  • An die Anwendung der Härtefallregelung aus § 8 Abs. 2 StAG werden bereits in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich, der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG hohe Anforderungen gestellt. Laut der Begründung zu § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 – StAG - E, werden diese Voraussetzungen zusätzlich erhöht. Die Gesetzesbegründung zu § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG - E enthält zudem weitere unbestimmte Rechtsbegriffe. Es ist daher zu befürchten, dass die Anwendung der Härtefallregelung in der Verwaltungspraxis sehr begrenzt sein wird und mit Diskriminierungsrisiken gegenüber Menschen mit (unverschuldetem) Leistungsbezug einhergehen wird.
  • Zudem fehlt im Normtext ein Verweis auf die intendierte Anwendung der Härtefallregelung. Ob ein Hinweis in der Gesetzesbegründung zu § 10 StAG - E ausreicht, um rechtssicher die Anwendung einer Regelung aus § 8 StAG festzuhalten, sollte überprüft werden.
  • Der Gesetzgeber sollte im Normtext selbst eine entsprechende Klarstellung regeln, um in der Praxis Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Entscheidung über die Anforderungen, die an Härtefälle gestellt werden, sollte nicht der Verwaltungspraxis und den Gerichten überlassen werden.

§ 10 Abs. 3 StAG - E

  • Die Regelung zur Berücksichtigung besonderer Integrationsleistungen benachteiligt aufgrund der Voraussetzung der uneingeschränkten Unterhaltspflicht spezifische Personengruppen, die  „unverschuldet“ Sozialleistungen erhalten; insbesondere Frauen und Menschen mit Behinderungen. Beispielsweise würden besondere Integrationsleistungen nicht berücksichtigt werden können, wenn sie von Personen erbracht werden, die aufstockend Leistungen zum Lebensunterhalt beziehen, weil sie alleinerziehend Kinder betreuen oder aufgrund der Pflege eines Angehörigen in Teilzeit arbeiten.
  • Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung schlägt daher vor, § 10 Abs. 3 Nr. 2 StAG - E zu streichen.

§ 10 Abs. 4 S. 2 StAG - E

  • Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung regt an, Erleichterungen beim Sprachnachweis auch für nachgezogene Ehepartner*innen zu regeln. Bei den zugezogenen sogenannten Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeitnehmer*innen handelt es sich mehrheitlich um Männer. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die Einbürgerung für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration zu erleichtern, deren Integration lange Zeit nicht unterstützt wurde. Auch den nachgezogenen Ehepartner*innen wurden keine oder nur wenige Integrationsangebote unterbreitet. Folgerichtig sollte auch ihre Einbürgerung erleichtert werden.
  • Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung regt an, im StAG grundsätzlich eine Ausnahmeregelung vom Sprachnachweis für ältere Menschen vorzusehen. Bisher sind Ausnahmen vom Sprachnachweis aufgrund des Alters nur im Wege der Einzelfallentscheidung möglich (§ 10 Abs. 6 StAG). Ziel sollte sein, allen älteren Menschen staatsbürgerliche Teilhabe zu ermöglichen. Für ältere Menschen kann das Erfordernis des formalen Sprachnachweises eine hohe Hürde der Einbürgerung darstellen. Diese Hürde betrifft nicht nur die sogenannte Gastarbeitergeneration.

§ 11 S. 1 Nr. 3 Buchst. b) StAG - E

  • Aus Sicht der Unabhängigen Bundesbeauftragten ist die Vorschrift in Gänze nicht erforderlich, um dem der Bedeutung des Wertes der Gleichberechtigung der Geschlechter Rechnung zu tragen. Laut der Legaldefinition des Begriffs der freiheitlich demokratischen Grundordnung aus § 4 Abs. 2 BVerSchG gehören auch die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Akzeptanz der grundgesetzlich verbrieften Gleichheitsrechte dürfte somit bereits durch das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG sichergestellt werden können.
  • Aus Sicht der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung sind die in § 11 S. 1 StAG - E neu eingeführten Tatbestände ungeeignet, die bisherige Anforderung der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ zu präzisieren. Die Vorschrift aus § 11 S. 1 Nr. 3 Buchst. b) StAG - E ist vielmehr geeignet, eine Diskriminierung von als muslimisch wahrgenommenen Antragstellenden zu begünstigen.
  • Die Vorschrift fordert von den Beschäftigten der Einbürgerungsbehörden die Beurteilung des Verhaltens der antragstellenden Person ein. Den Beschäftigten wird damit ein diskriminierungsanfälliger Beurteilungsspielraum eingeräumt, in den die (ggf. unbewussten) Ansichten und Zuschreibungen der mit dem Antrag befassten Person einfließen können. Hinzu kommt, dass sich die Begründung der Vorschrift diskriminierende Zuschreibungen gegenüber Muslim*innen begünstigt.