6. Mai 2024 • Allgemein 

Netzwerk Tolerantes Sachsen erschüttert und empört über Abwicklung des Dachverbandes sächsischer Migrant*innenorganisationen durch beispiellosen Akt politischer Bürokratie

Kette aus Büroklammern

Pressemitteilung des Netzwerks Tolerantes Sachsen vom 6. Mai 2024

Der Sprecher_innenrat des Netzwerks Tolerantes Sachsen sieht skandalöses Vorgehen in der mittelbar beförderten Insolvenz des Dachverbandes sächsischer Migrant*innenorganisationen (DSM) durch den Sächsischen Rechnungshof und die Sächsische Aufbaubank.

Der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen (DSM) hat sich seit seiner Gründung im April 2017 – als Nachfolger des Integrationsnetzwerks Sachsen – mit wachsender Professionalität für die Interessen migrantisierter Personen und Gruppen und für die gleichberechtigte Teilhabe und Integration der Migrant_innen am gesellschaftlichen und politischen Leben in Sachsen engagiert. Der DSM und die zuletzt 66 im Verband organisierten Initiativen sind ein wichtiger Teil der noch immer sehr fragilen demokratischen Zivilgesellschaft Sachsens. Gerade angesichts erstarkender extrem rechter Strukturen, den Angriffen auf das demokratische Gemeinwesen und Forderungen nach ‚Remigration‘ ist es ein fatales Signal, den Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen sieben Jahre nach seiner Gründung auf diese Weise abzuwickeln. Damit entsolidarisiert sich schlussendlich die Mehrheitsgesellschaft von den Gruppen, die am meisten von den menschenverachtenden Plänen der extremen Rechten betroffen sind.

Zum Hintergrund: 

Nach der umfangreichen Prüfung der gesamten Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen durch den Landesrechnungshof und Vorwürfen in Richtung der mittelverwaltenden Stellen hat die Sächsische Aufbaubank (SAB) im März dieses Jahres vom DSM rund 150.000 Euro für sieben Projekte aus den Jahren 2015 bis 2019 zurückgefordert. Diese Mittel waren bereits vor langer Zeit bewilligt, abgerechnet und ihre Verwendung geprüft. Formal hat der Verein hier noch ein Widerspruchs- und Klagerecht. Nur Zeit lässt man dem Verein dazu keine. Denn: Der Antrag für ein größeres Projekt in diesem Jahr wurde ebenfalls im März mit Verweis auf „Zweifel an der Zuverlässigkeit des Zuwendungsempfängers“ durch die SAB abgelehnt. Zuvor war dieses Projekt „EMOS – Empowerment von Migrant*innenorganisationen in Sachsen“ bereits zur Förderung vorgesehen und ein vorzeitiger Maßnahmebeginn genehmigt worden. Durch die überraschende Streichung der Mittel für 2024 drohte dem Verein die Zahlungsunfähigkeit. Um den aktuellen ehrenamtlichen Vorstand vor möglichen Rechtsfolgen zu schützen, hat der Verein im April Insolvenz angemeldet. Hier findet ein Mechanismus Anwendung, mit dem man wohl fast jedem Verein den Gar aus machen könnte. Unabhängig von der fatalen Situation des DSM wird mit diesem Vorgehen das Widerspruchs- und Klagerecht der Träger faktisch ausgehebelt.

Der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen war immer ein vertrauensvoller und zuverlässiger Partner des Netzwerks Tolerantes Sachsen. Er war eine wichtige Ansprechstelle mit Scharnier- und Brückenfunktion nicht nur für die eigene Zielgruppe, sondern auch für die gesamte Zivilgesellschaft und staatliche Akteur_innen. Das schien auch die Politik so zu sehen. Im aktuellen Haushalt war für den DSM sogar ein eigener Haushaltsposten vorgesehen.

Selbst wenn – und dies ist noch nicht belegt – der Verein in der Vergangenheit Fehler gemacht haben sollte, verdient er ein geordnetes und faires Verfahren. Dass die Verantwortlichen sich hier wegducken und den Verband sehenden Auges in die Insolvenz rutschen lassen, ist unwürdig und skandalös! Dass dies gerade einen Verein von und für Migrant_innen trifft, ist definitiv das falsche Signal in dieser Zeit: Es droht eine massive Schwächung der migrantischen Zivilgesellschaft in Sachsen und ein Verlust an Struktur und Netzwerken, welche jahrelang durch den DSM aufgebaut wurden.

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen ist ein Zusammenschluss von mehr als 140 sächsischen Initiativen, Vereinen und Organisationen, die sich für die Förderung demokratischer Kultur und gegen Einstellungen der Ungleichwertigkeit, Antisemitismus und Rassismus einsetzen. Aktuell wird die Arbeit des Netzwerks u.a. über das Programm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ als Fachnetzwerk zur Stärkung demokratischer Werte und Handlungskompetenzen gefördert.