5. Apr 2023 • Allgemein 

GeRECHTigkeit für muslimische Lehrer*innen- Schulverwaltung rückt von ihrer jahrelangen diskriminierenden Einstellungspraxis ab (Bündnis #GegenBerufsverbot)

Pressemitteilung des Antidiskriminierungsverbands Deutschland (advd)

Berlin, 05.04.2023

Acht Jahre (!) nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rückt nun auch die Senatsverwaltung für Bildung endlich von ihrer jahrelangen Praxis der pauschalen Ablehnung von muslimischen Frauen mit Kopftuch im Bildungsbereich ab. Gut qualifizierte Lehrer*innen, die Berlin so dringend braucht, können nun in den Schuldienst eingestellt werden.

In einem Brief an alle Schulleiter*innen erklärt die Bildungsverwaltung, dass sie von ihrer bisherigen “wortgetreuen Anwendung des Neutralitätsgesetzes” Abstand nimmt. Mit 8 Jahren Verspätung erinnert sie sich daran, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für alle Organe des Bundes und der Länder bindend sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2015 entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrer*innen zur Abwehr bloß abstrakter und nicht tatsächlich konkret auftretender Gefahren verfassungswidrig ist. Alle Bundesländer außer Berlin folgten umgehend dieser Entscheidung und stellten (wieder) Lehrer*innen mit Kopftuch ein. Im Jahre 2020 verurteilte das Bundesarbeitsgericht das Land Berlin, das sich der Umsetzung der BVerfG-Entscheidung beharrlich verweigerte, zur Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) an eine Lehrerin mit Kopftuch, der die Einstellung verweigert worden war. Dem Gerichtsurteil kam über den Einzelfall hinaus eine grundsätzliche Bedeutung zu: Das sog. Neutralitätsgesetz ist seit 18 Jahren (!) diskriminierend und darf nur einschränkend ausgelegt werden. Die pauschale Ablehnung aufgrund des Tragens eines Kopftuchs, wie es die Schulverwaltung seit Jahren praktizierte, war nicht zulässig. Doch auch diese Entscheidung wurde von der Schulverwaltung ignoriert und Berlin blieb untätig. Stattdessen wandte sich 2021 die damals scheidende Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in einem letzten Versuch, das umfangreiche Berufsverbot für kopftuchtragende Lehrer*innen in Berlin aufrechtzuerhalten, an das Bundesverfassungsgericht. Dieses wies die Beschwerde aufgrund der seit Jahren geklärten Rechtslage Anfang 2023 zurück.

Auch wenn damit gerichtlich alles einmal mehr geklärt scheint, bleibt es offen, inwiefern der Diskriminierungsschutz von Lehrer*innen mit Kopftuch gewährleistet ist. Nachdem sich die Rot-Grün-Rote Landesregierung jahrelang ihrer politischen Verantwortung zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entzogen hat, kommen Zweifel auf, ob sich dies unter einer potenziell von CDU und SPD geführten Regierungskoalition tatsächlich grundlegend ändern wird. Die Schwarz-Rote Koalition kündigte in ihrem Koalitionsvertrag an, dass sie das Neutralitätsgesetz “gerichtsfest an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts” anpassen wird. Das klingt zwar gut, doch einen Schutz davor, dass am Ende wieder eine spezielle “Lex-Berlin” steht, bieten solche Worte nicht. So erklärte Cornelia Seibeld, Sprecherin der CDU, der taz im Interview, es könne “nicht geduldet werden, dass religiöse Symbole, wie das islamische Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden”. Darunter verstehen wir, dass auch unter Schwarz-Rot nur kosmetische Maßnahmen angestrebt werden, die die verfassungswidrige Praxis aufrechterhalten.

Wir werden in unserem Einsatz für die Grundrechte von kopftuchtragenden Lehrer*innen in Berlin und darüber hinaus nicht nachlassen und genau darauf schauen, wie sich die Bildungsverwaltung nun verhält. Betroffene Frauen sind viel zu lange um ihre persönlichen Freiheiten und beruflichen Chancen gebracht worden. Wir werden sie auch weiterhin damit nicht alleine lassen“, so das Bündnis #Gegenberufsverbot.

Das Bündnis #GegenBerufsverbot ist ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen und Privatpersonen, die zum Thema Anti-Rassismus und Feminismus arbeiten und in der Debatte um das sogenannte Neutralitätsgesetz sowohl die Betroffenenperspektive als auch menschen-, bürger- und frauen*rechtliche Argumente sichtbar macht.