31. Jan 2022 • nadis 

„Es braucht geschlechtergerechte und geschlechtersensible Sprache an den sächsischen Schulen“ (Stellungnahme nadis)

Stellungnahme des nadis - Netzwerk für eine Antidiskriminierungskultur in Sachsen zum Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus an die Schulleiter*innen der Schulen in öffentlicher Trägerschaft im Freistaat Sachsen vom 25. August 2021 zum Thema geschlechtergerechte Sprache und Schreibung

Dresden, Januar 2022

Sehr geehrter Herr Staatsminister Piwarz,

liebe Schulleitungen, liebe Lehrkräfte, liebe Schüler*innen, liebe Interessierte,

uns und unsere Netzwerkpartner*innen erreichen immer wieder verunsicherte Nachfragen zum genannten Schreiben „Geschlechtergerechte Sprache und Schreibung“ des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 25. August 2021.

Wir begrüßen, dass im Schreiben ausdrücklich das Eintreten für eine geschlechtergerechte Sprache und Aktivitäten für eine geschlechtersensible Schule befürwortet werden.

Zugleich bedauern wir die zentrale Empfehlung des Schreibens: "Die Verwendung von Sonderzeichen, wie Gender-Stern, Gender-Doppelpunkt, Gender-Unterstrich oder Doppelpunkt im Wortinneren, erfüllt weder die Kriterien für eine gendergerechte Schreibung noch entspricht sie den aktuellen Festlegungen des Amtlichen Regelwerks, welches die Grundlage für die deutsche Rechtschreibung bildet und somit auch für die Schulen gilt." Daher seien Gendersternchen und Co. "im Bereich der Schule und in offiziellen Schreiben von Schulen nicht zu verwenden."

Hiermit wurde gleich in doppelter Weise Verwirrung gestiftet. Denn die genannten Beispiele stehen sehr wohl für eine geschlechtergerechte Schreibweise und auch die amtlichen Regelwerke schließen die Verwendung keinesfalls (rechts-)verbindlich aus.

Die angeführten Sprach- bzw. Schreibvarianten entsprechen der Praxis und den Empfehlungen vieler (Selbst-)Organisationen, die sich für eine geschlechtergerechte Sprache einsetzen, die Frauen, Männer, trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen berücksichtigt. Die genannten Sprachformen tragen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 und dem nachfolgenden Beschluss des Bundestages zum Personenstandsrecht vom Dezember 2018 Rechnung, die neben den Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“ auch die Optionen „divers“ sowie die Möglichkeit des Verzichts auf eine Geschlechtsangabe ermöglichen.

Wichtig ist uns, deutlich zu machen, dass es sich bei dem Schreiben des Kultusministeriums „nur“ um eine Empfehlung handelt. Nach Ministeriumsangaben soll es weder gezielte Kontrollen noch Sanktionen geben. Auch die Festlegungen des amtlichen Regelwerks schließen die beanstandeten Sprachformen nicht aus, wie die Praxis anderer Bundesländer zeigt.

An sächsischen Schulen gibt es hinreichend viele und gute gelebte Beispiele, die geschlechtergerechte Sprache im Schulalltag zur Bereicherung gemacht haben. Werte Schulleitungen, Lehrende und Schüler*innen, bitte verfolgen Sie auch weiterhin diesen progressiven Ansatz.

Sowohl der Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz vor der Bundestagswahl als auch der Inhalt des Schreibens befeuerten die ohnehin schon aufgebauschte und emotional aufgeladene (Schein-) Debatte rund um geschlechtergerechte Sprache in unserer Gesellschaft. Sie wird leider immer wieder instrumentalisiert und vor allem von vielfaltsfeindlichen und rechtsextremen Gruppierungen, Strömungen und Parteien zum Kulturkampf stilisiert.

Wir verwehren uns ausdrücklich dagegen, dass die Öffnung der Schulen für vielfältige Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft zum Spielball von Parteien und als Wahlkampfmanöver instrumentalisiert wird.

Schulleitungen, Lehrende und Schüler*innen möchten wir ermutigen, Sprache in vielfältiger Weise zu nutzen, um geschlechtliche Vielfalt sichtbar zu machen. Nutzen Sie geschlechtsneutrale Formen, nutzen Sie den Gender-Stern, den Doppelpunkt oder andere Formen, die Ihnen angemessen erscheinen. Als barrierefreie Form wird nach aktueller Studie der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik der Gender-Stern empfohlen.

Informieren Sie sich, bleiben Sie aufmerksam und kreativ. Sprache ist lebendig und spiegelt gesellschaftliche Veränderungen. Nutzen wir diesen Gestaltungsspielraum. Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen wünschen, nehmen Sie gerne mit uns und unseren Netzwerkpartner*innen Kontakt auf.

Das Sächsische Staatsministerium für Kultus fordern wir auf, Schulleitungen, Lehrkräfte und Schüler*innen durch eine Versachlichung der Debatte zu unterstützen. Alle, die bisher schon offen und divers auch in der Sprache vorangegangen sind, können und sollen dies weiter tun dürfen.

Für den konstruktiven Austausch und die Vermittlung entsprechender Kompetenzen stehen in Sachsen hochqualifizierte und kompetente Bildungsangebote zur Verfügung. Deren Vernetzung mit Lehrkräften und Schüler*innen sowie die Nutzung einschlägiger Fachmaterialien sollte weiter unterstützt und gefördert werden. In diesem Zusammenhang erinnern wir ausdrücklich an die geplante Schaffung einer Ombudsstelle für Diskriminierungsfragen an sächsischen Schulen - deren Umsetzung jedoch auf sich warten lässt.

Sehr geehrter Herr Kultusminister Piwarz, gern laden wir Sie auf ein Fachgespräch ein, um Wege zu diskutieren, wie eine versachlichte Debatte zur Nutzung geschlechtergerechter Sprache zu einem Gewinn an sächsischen Schulen werden kann.

Die Mitglieder des nadis:

  • Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
  • Genderkompetenzzentrum Sachsen / FrauenBildungsHaus Dresden e.V.
  • Gerede e.V. – Verein für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
  • Kulturbüro Sachsen e.V.,
  • Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V.
  • Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen
  • LIGA Selbstvertretung Sachsen – Netzwerk Behinderung und Menschenrechte Sachsen
  • Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. Leipzig

Ansprechpartner*innen für Rückfragen zur Stellungnahme:

Astrid Tautz, Genderkompetenzzentrum Sachsen

Tel: 0176 – 56 73 14 72
E-Mail: astrid.tautz@genderkompetenz-sachsen.de

Morena Gutte, Koordination nadis

Tel: 0351 – 485 096 97
E-Mail: morena.gutte@adb-sachsen.de

Organisationen in Sachsen für Workshops, Information und Beratung zu geschlechtergerechter Sprache und geschlechtlicher Vielfalt:

different people e.V.

Hauboldstraße 10, 09111 Chemnitz
Tel. 0371/50094
info@different-people.de
www.different-people.de

Genderkompetenzzentrum Sachsen/ FrauenBildungsHaus Dresden e.V.

Oskarstr. 1, 01219 Dresden
Tel. 0351/310 52 75
info@genderkompetenz-sachsen.de
www.genderkompetenz-sachsen.de

Gerede e.V.

Prießnitzstraße 18, 01099 Dresden
Tel. 0351/8022251
kontakt@gerede-dresden.de
www.gerede-dresden.de

Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Sachsen e.V.

Hilbersdorferstr. 74, 09131 Chemnitz
Tel. 0371/35146557
sachsen@lsvd.de
www.sachsen.lsvd.de

RosaLinde Leipzig e.V.

Demmeringstr. 32, 04177 Leipzig
Tel. 0341/8790173
kontakt@rosalinde- leipzig.de
www.rosalinde- leipzig.de

Zum Weiterlesen:

NADIS ist ein Netzwerk sächsischer Vereine und Initiativen mit dem Ziel, eine Antidiskriminierungskultur zu fördern. Die Mitgliedsorganisationen arbeiten in unterschiedlichen Arbeitsfeldern schwerpunktmäßig zu den Themen Behinderung, Migration, Rassismus, sexuelle Identität, Gender, Lebensalter, Religion/ Weltanschauung und Demokratieentwicklung. Sie betrachten Diskriminierung als eine problematische gesellschaftliche Realität und haben beschlossen, im Rahmen eines merkmalsübergreifenden, horizontalen Netzwerkes zusammenzuarbeiten. Ihr gemeinsames Ziel ist es, Diskriminierung und Teilhabe in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen zu thematisieren und gemeinsame Konzepte einer gelebten Antidiskriminierungskultur für Sachsen zu entwickeln.

Bildnachweis:  Photo by Angelina Litvin on Unsplash