22. Okt 2019 • Allgemein 

Rassismus-Tribunal tagt in Sachsen: „Der Osten bleibt migrantisch“

Flyer des NSU-Tribunals

Pressemitteilung des Tribunals "NSU-Komplex auflösen"

Chemnitz/Zwickau, 29.10.2019

Der Anschlag von Halle mit zwei Todesopfern hat die Debatte um Rassismus und Antisemitismus in Deutschland neu entfacht. Statt wohlfeiler Sonntagsreden geht ein Zusammenschluss migrantischer, antirassistischer und antifaschistischer Kräfte nun einen Schritt weiter. Vom 1.-3. November 2019 tagt in Chemnitz und Zwickau ein zivilgesellschaftliches Tribunal. An den drei Tagen werden die Opfer von Rassismus und Antisemitismus beklagt, Täter*innen angeklagt und die „Gesellschaft der Vielen“ eingeklagt.  

Warum ein Tribunal in Chemnitz und Zwickau? 

Einst hatte der NSU aus dem sächsischen Chemnitz und Zwickau heraus seine rassistischen Morde und Anschläge verübt. Das Umfeld des Nazinetzwerks ist noch immer aktiv. Die milden Urteile im NSU-Prozess haben die Neonaziszene ermuntert, ihr mörderisches Treiben fortzusetzen. Dies zeigen die Hetzjagden gegen Migrantinnen und Migranten in Chemnitz im letzten Jahr, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag von Halle. Auch der Aufschwung der AfD als parlamentarischer Arm der Neonazis belegen, dass autoritäre, antidemokratische und faschistische Tendenzen in Teilen der Gesellschaft zunehmen. 

Wir sind die Zukunft – auch in Sachsen

Jeden Tag stellen sich migrantische, antifaschistische und antirassistische Menschen dem Rechtsruck entgegen – auch in Sachsen. Auf dem Tribunal werden Betroffene und Angehörige von Opfern die Geschichten rassistischer Gewalt von den 1970er Jahren bis heute erzählen und sichtbar machen. Der Widerstand von Migrant*innen und solidarischen Menschen soll hörbar werden. Am Tribunal beteiligen sich unter vielen anderen Ali Tulasoğlu, dessen Restaurant im Oktober 2018 in Chemnitz von Nazis niedergebrannt wurde, der Arabische Verein für Kultur und Integration, der diesen Sommer trotz starker Anfeindungen am Karl-Marx-Kopf in Chemnitz das Zuckerfest feierte, die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş und Mitat Özdemir von der Initiative „Herkesin Meydanı - Platz für Alle“ aus der Kölner Keupstraße, auf die der NSU 2004 einen Bombenanschlag verübte sowie das Netzwerk „We´ll come United“, das im Sommer eine Tour durch Lager und abgeschiedene Unterkünfte von Geflüchteten in Sachsen unternommen hat. Pressesprecher Tim Klodzko betont: „Migration war und ist die Mutter aller Gesellschaften. Das betrifft auch Sachsen, das in den letzten Jahrzehnten vielfältig von Migration geprägt war. Wir sagen klar, der Osten ist und bleibt migrantisch. Die häufig marginalisierten Perspektiven von Migrant*innen, People of Color und Geflüchteten müssen gehört werden.“ Ziel ist es, die „Gesellschaft der Vielen“ zu verteidigen, in der Migration der Normalfall ist.  

Wir klagen an

Das Tribunal hat namhafte Vorläufer. Überall dort, wo staatliche Strukturen mit der Aufarbeitung von massiven Verbrechen versagten, haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen bereits Tribunale veranstaltet: ob das so genannte Russel-Tribunal zum Vietnamkrieg im Jahr 1966 oder das Kongo-Tribunal von 2015. Wie im Jahr 2017 in Köln und 2018 in Mannheim klagt das Tribunal ‚NSU-Komplex auflösen’ in Chemnitz und Zwickau erneut Menschen an, die dem Rassismus in Deutschland Vorschub geleistet haben, selber Täter*innen geworden sind oder Strukturen geschaffen und gefördert haben, die rassistische Taten ermöglichten. Die Anklage richtet sich außerdem gegen Strukturen, Behörden und Personen, die die Aufklärung des NSU-Komplex verhinderten und dadurch dafür mitverantwortlich sind, dass er bis heute Menschen bedroht und mordet. Das Tribunal beschränkt sich darauf Anklage zu erheben – Urteile müssen an anderen Stellen gesprochen werden.

Multiperspektivisches Programm 

An den ersten beiden Tagen bietet das Tribunal ein dichtes und vielfältiges Programm im Chemnitzer Weltecho. Auf der Bühne verständigen sich Betroffene, Anwält*innen sowie Aktivist*innen über Erfahrungen und Strategien gegen Rassismus. Historische Rückblicke wie zum Beispiel zur Vertragsarbeit und Rassismus in der DDR sind ebenso geplant wie Filmvorführungen, Workshops und Stadtrundgänge. Am dritten und letzten Tag wird in Zwickau der Forderung nach einem Dokumentationszentrum zum NSU und rechtem Terror Nachdruck verliehen.


Einladung zur Pressekonferenz
Freitag, 1.11.2019, 17 Uhr: Weltecho, Annaberger Str. 24, 09111 Chemnitz

Akkreditierung
Wir reservieren Plätze für Medienvertreter*innen in den Veranstaltungsräumen. Bitte akkreditieren Sie sich kurz, um uns die Planungen zu vereinfachen: media@nsu-tribunal.de

Crowdfunding
Das Tribunal wird unter anderem durch Spenden finanziert. Jeder gespendete Euro wurde durch die Bethe-Stiftung verdoppelt.
Spendenlink: https://www.betterplace.org/de/projects/72878-tribunal-nsu-komplex-auflosen-chemnitz-und-zwickau

Anklage
Die bisherige Anklageschrift finden Sie unter: https://www.nsu-tribunal.de/anklage