1. Apr 2022 • Allgemein 

Antidiskriminierungsberatung ist aktive Demokratieförderung - Stellungnahme des advd zum Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz

Berlin, 24.03.2022

Mit der Schaffung eines Demokratiefördergesetzes verbinden wir, wie viele andere zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die Chance und die Hoffnung, dass der Bund durch eine Gesetzesgrundlage systematischer und nachhaltiger als bisher demokratiestärkende Maßnahmen fördert. Das Ziel eine bedarfsgerechte, längerfristige und altersunabhängige Förderung zu ermöglichen, begrüßen wir ausdrücklich.
Von zentraler Bedeutung für eine umfassende und effektive Demokratieförderung ist die Bestimmung der Regelungsinhalte eines künftigen Gesetzes, zu denen wir hier Stellung nehmen.

Aus unserer Sicht greifen die aktuell vorgesehenen Regelungselemente mit einer Schwerpunktsetzung auf Gewalttaten und Rechtsextremismus zu kurz, um von einer wirksamen Demokratieförderung zu sprechen, denn es besteht eine folgenreiche Leerstelle für gesellschaftliche Phänomene, die nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in der Mitte anzusiedeln sind. (Anti)Diskriminierung wird nur als Stichwort genannt, findet sich aber weder in der Zielsetzung noch als Gegenstand der Förderung wieder.

Stärkung der Demokratie, Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, Vielfaltsgestaltung – das alles ist nicht denkbar ohne Maßnahmen gegen Diskriminierung.
Effektiver Schutz vor Diskriminierung dient dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dazu gehört die Stärkung des Antidiskriminierungsrechts und die Beratung und Unterstützung von Betroffenen.
Wer Rassismen, Antisemitismus und andere Ausprägungen der Ungleichheitsverhältnisse bekämpfen will, muss auch Diskriminierung als eine Ausprägung eben dieser bekämpfen. Gewalt und Hass ist die Spitze des Eisbergs, aber darunter gärt ein System struktureller Diskriminierung. Tagtäglich erleben Menschen bei der Arbeit, bei der Wohnungssuche, in der Schule und vielen anderen Lebensbereichen Diskriminierung. Das zerstört ihr Vertrauen in die Gesellschaft und die Demokratie, verletzt ihre Würde und verhindert gleichberechtigte Teilhabe.

Die Regelungsinhalte offenbaren aus unserer Sicht eine deutliche Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Während Diskriminierung in vielen Projekten, Partnerschaften für Demokratien, Landesdemokratiezentren und vor allem auch durch Organisationen von Betroffenen von Rassismen, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit etc. explizit bearbeitet wird und ein wichtiges Thema ist, kommt es im aktuellen Diskussionspapier nur als Begriff vor, ohne weitere Umsetzung.

Der Ansatz Antidiskriminierung konkretisiert die Absicht der Demokratieförderung und erweitert die theoretische Perspektive der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) und das Konzept des (Rechts)Extremismus:

  • Antidiskriminierung setzt den Fokus auf Ungleichbehandlungen und Würdeverletzungen unterhalb der physischen Gewaltschwelle in allen Lebensbereichen
  • Antidiskriminierung fokussiert die Effekte von individuellen Handlungen sowie institutionellen Verfahren und Strukturen und nicht Motivation und Absicht
  • Antidiskriminierung hat einen starken Fokus auf institutionellem Handeln und dem Handeln von Personen im Rahmen von Institutionen

Gleichbehandlung und Menschenwürde sind fundamentale Menschenrechte und ein Kern der Demokratie. Diese werden nicht erst verletzt, wenn strafrechtlich relevante, oftmals gewaltförmige Handlungen geschehen. Antidiskriminierung verfolgt einen intersektionalen und empowernden Ansatz und thematisiert Benachteiligungen und Würdeverletzungen in allen relevanten Lebensbereichen (Arbeit, Bildung, Behörden, Güter/Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung, ...) unterhalb der physischen Gewaltschwelle, unabhängig davon, ob die dafür verantwortliche Person bzw. Institution dies beabsichtigt hat.

Wenn Menschen aus diskriminierenden Gründen eine Wohnung nicht bekommen oder in der Verwaltung/ Schule/ am Arbeitsplatz schlechter behandelt werden, treffen Menschen nicht als Privatpersonen aufeinander, sondern in klar definierten Rollen – als Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen, Antragsteller:innen und Sachbearbeiter: innen, Kund:innen und Dienstleister:innen. Vor diesem Hintergrund bewegt sich Antidiskriminierung neben der individuellen Ebene insbesondere auch auf der institutionellen und der strukturellen Ebene und trägt zu nachhaltigen Veränderungen bei.

Die Regelungsinhalte müssen daher Antidiskriminierung explizit als Schwerpunktthema aufnehmen.
Insbesondere muss durch ein Demokratiefördergesetz die qualifizierte, unabhängige Antidiskriminierungsberatung als Regelungsinhalt wie folgt aufgenommen werden:

„Die Schaffung überregionaler Strukturen, die sicherstellen, dass Betroffene von Diskriminierung im gesamten Bundesgebiet qualitativ hochwertige Unterstützung und Beratung erhalten (u. a. durch qualifizierte BeratungsstellenNetzwerkbildung, wissenschaftliche Begleitung oder Austausch)“.

Zudem muss Empowerment als weiterer Fördergegenstand aufgenommen werden.

Dabei geht es um die Gestaltung und Bereitstellung von Formaten, in denen von Marginalisierung, Diskriminierung und Gewalt betroffene Menschen einen Raum finden, gemeinsam die (Würde-)Verletzungen und schmerzhafte Erfahrungen aufzuarbeiten und ihre Stimmen zu artikulieren.

Nur so können diese wichtigen Perspektiven sicht- und hörbar werden und Hindernisse an der Partizipation an demokratischen Prozessen abgebaut werden. Auf diese Weise können die gesellschaftlich ausgegrenzten Menschen das Vertrauen gegenüber der Gesamtgesellschaft (wieder-) gewinnen und sich als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft erleben.

Abschließend weisen wir daraufhin, dass wir die Stellungnahmen von RAA Berlin und Citizens For Europe, mit denen wir gemeinsam das Kompetenznetzwerk Antidiskriminierung und Diversitätsorientierung gestalten, unterstützen.

Grundsätzlich halten wir es für erforderlich, die Kompetenznetzwerke in der Entwicklung eines Demokratiefördergesetz einzubinden. Wir behalten es uns in Absprache mit weiteren Kompetenznetzwerken vor, auch nach Fristablauf, eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben und möchten darum bitten, das weitere Verfahren und die Einbindung der Zivilgesellschaft frühzeitig zu kommunizieren.